22.06.2016

Share Economy – Ein Tag der Fragen

Was hat ein mäßiges Design mit Kirche und aktueller Wirtschaft zu tun?

Ich habe ja ein grundsätzliches Problem mit sechsseitigen DIN-lang-Flyern. Das beginnt beim Wort Flyer und geht mit der Gestaltung weiter. Über derartig standardisierte Infoblätter lässt sich selten ablesen, welche Qualität eine Veranstaltung hat. Aber Content schlägt Design: Mein Vertrauen in die Veranstalter und Referenten sowie das Thema waren uns einen Arbeitstag wert. Und es hat sich gelohnt. Aber der Reihe nach.

Das Zentrum für Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau hat eingeladen, einen Tag über Share Economy zu diskutieren. Und zur Begrüßung hat Frau Dr. Bertelmann uns noch einmal in Erinnerung gerufen, dass Wirtschaft und Teilen schon lange zusammen gehören. Denn Maschinenringe in der Landwirtschaft oder der berühmte Lesezirkel im Arztwartezimmer sind genau das.

Dr. Julian Dörr hat dies dann auch noch einmal wissenschaftlich fundiert ausgeführt. Wobei – typisch Wissenschaft – die Frage nach der Abgrenzung wichtig war. Wenn Carsharing Share Economy ist, (warum) sind klassische Autovermietungen es nicht? So wirklich lässt sich das nicht klären. Es scheint aber damit zu tun zu haben, dass digitale Vernetzung mit im Spiel ist. Beim Carsharing gibt es kein Servicepersonal, das mir den Wagen vorfährt um mir danach die Schlüssel zu überreichen – ich steige einfach ein und fahre los, als wäre es mein Auto. Wesentlich scheint aber auch zu sein, dass alle Transaktionen über eine Plattform abgewickelt werden, denken wir an die beiden Stellvertreter uber und airbnb Stichwort: Platform Economy. Das Element des Makelns (und sich sonst aus jeder Verantwortung stehlens) scheint regelmäßiger Bestandteil zu sein.
Und schon sind wir in typischen Sorgen, Ängsten und Vorurteilen: Eine riesengroße Ubermacht (5€ in die Wortspielkasse) nimmt sich was ihr passt, hält sich nicht an Regeln und macht, was sie will? Airbnb macht nicht die Städte besser, sondern nur sich selber reich? Share Economy als neue Ausgeburt des Turbo(venture)kapitalismus?
Klingt nach sicherem Stammtisch-Konsens. Aber so einfach machen es sich weder die evangelische Kirche noch die anwesenden Diskutanten.

It’s the economy, stupid.

Meine Theorie: Es gibt überall radikal-kapitalistische Unternehmen, die sich gierig-arrogant verhalten. Ist denn {IKEA|Apple|Micrsoft|beleibiger multinationaler Großkkonzern} in diesem Punkt anders? Und, teilen die irgendwas?
Wenn ich ein Problem mit der Share Economy habe, dann mit dem Economy-Teil. Und den nicht, weil Wirtschaft an sich böse wäre, sondern weil manche Unternehmer/n sie böse™ einsetzen. Ich gebe Julian Dörr recht, wir™ sollten es schaffen, neuen und alten Anbietern fairen Raum zu schaffen. Ein besserer Taxidienst? Her damit! Umgehung sämtlicher Regeln, die ein Taxiunternehmen (aus Gründen!) einhalten muss? Das wäre eine ungerechtfertigte Bevorteilung des neuen Angebots gegenüber der bestehenden Unternehmen. Ganz normale Wirtschaft, nichts neues eigentlich, oder?

Es gibt auch zahlreiche Unternehmen und Initiativen, die mit ehrwürdigem Unternehmertum agieren. Für die braucht es gar keine neuen Regeln. Einige waren heute anwesend, einige sind nicht mal Unternehmen.

Mit gutem Beispiel voran

Sehr erfreut war ich, nach über 10 Jahren als zufriedener Kunde Udo Mielke persönlich kennenzulernen. Er ist Chef meines Lieblingscarsharinganbieters™ in Mainz. (Gut, es gibt hier nur book-n-drive, von daher fällt die Wahl leicht.) Dort habe ich das Gefühl dass, redlich arbeitende Menschen gewinnorientiert-verantwortungsvoll agieren. Und diesen Eindruck sehe ich heute bestätigt. Nimm das, Stammtisch.

Auch schön: Share ohne Economy. Nein, falsch. MIT Economy, aber ohne Geld: Free Your Stuff und Foodsharing. Simon Neumann und Kristijan Miklobusec stehen mit viel Engagement und Herzblut dafür ein, Dinge oder Essen nicht wegzuwerfen, sondern zur weiteren Verwendung an andere abzugeben. Unentgeltlich! Das ist cool, das ist ehrenhaft (und hipp). Das ist das Teilen, was ich als Kind gelernt habe und mit dem ich es als Unternehmer seltener zu tun habe, weil man davon eben keine Miete zahlen kann. Gebe ich aber weniger Geld für Stuff aus, brauche ich auch weniger Geld an sich. Willkommen, Postwachstumsgesellschaft.

Womit wir bei der Bank angekommen wären. Während unter den Gästen eine Sparkassenmitarbeiterin ihre Skepsis und Irritation nicht verbergen wollte, war Falk Zientz von der GLS-Bank in seinem Element. Patrick Mijnals von bettervest bietet eine Crowdfunding-Plattform an, aber nicht für Kinder-Smartwatches oder Webtypo-Bücher, sondern zur Förderung energetischer Sanierungen. Im Doppel-Panel zwischen Bank und Crowdfunding-Plattform war jedoch viel weniger Tauziehen, als ich gedacht hätte. Beide schätzen sich gegenseitig und bedienen offensichtlich verschiedene Interessen: Patrick Mijnals macht keinen Hehl daraus, dass Crowdfunding auch stark zu Marketingzwecken eingesetzt wird. Probiert das mal mit einem Bankkredit:

Hey, Leute, wir nehmen jetzt einen Kredit auf, liebt uns dafür!

Eher weniger.

Noch Fragen? Natürlich.

Ich kann mittels digitaler Vernetzung also mein ganzes Privatleben in eine riesengroße Wertschöpfungskette umwandeln und selbst mein Bett monetarisieren. Gleichzeitig brauche ich vielleicht keine App, um meinem Nachbarn vor dem Urlaub meine Milch abzugeben oder eine Bohrmaschine zu leihen.
Natürlich – und das war gewollt – gehe ich mit mehr Fragen nach Hause, als ich gekommen bin. Schön, dass die Kirche sich hier aktuellen gesellschaftlichen Themen kompetent widmet und den Diskurs fördert. Auch einige Wirtschafts-Professoren der Hochschule Mainz haben wir im Publikum entdeckt. Schade, dass wir daran selten denken, wenn wir das Wort Kirche hören.

Ich bin begeistert, dass es eine so interessante und professionelle Veranstaltung war – konnte man der Einladung kaum entnehmen. Vielleicht sollten wir unsere Dienstleistung auch mal zum Teilen anbieten.

Gab es da nicht so eine Plattform …?

Simon Wehr
Superuser & Head of Presentation

… gestaltet Themen, die es wert sind, auch in Zukunft gesehen zu werden.

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